Bundeshaushalt 2024: Ampel beschließt sozialpolitische Zeitenwende

Am Mittwoch, den 5. Juli, hat das Bundeskabinett den Haushalt für das kommende Jahr und die Finanzpläne bis 2027 beschlossen. Sie sind eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse – an Lehrer, Pflegekräfte und andere Beschäftigte des öffentlichen Diensts, an Kinder, Kranke, Pflegebedürftige und Flüchtlinge.

Finanzminister Christian Lindner im Finanzausschuss des Bundestags [Photo by Deutscher Bundestag / Janine Schmitz / photothek]

Unmittelbar nach Ausbruch des Ukrainekriegs hatte Bundeskanzler Olaf Scholz eine militärische „Zeitenwende“, die umfassendste Aufrüstung seit Hitler, angekündigt. Nun werden die gewaltigen Kosten dafür über Einsparungen bei den Sozialausgaben auf die Arbeiterklasse abgewälzt. Es brauche „nach der sicherheitspolitischen auch eine ökonomische Zeitenwende“, schreibt Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Gastbeitrag für die F.A.Z.. Der Haushalt 2024 sei nur der Beginn der Konsolidierung.

Der Gesamthaushalt wird im kommenden Jahr drastisch zusammengestrichen. Obwohl er aufgrund der hohen Inflation um mindestens 30 Milliarden Euro steigen müsste, um das Niveau von 2023 einzuhalten, sinkt er um 30 Milliarden von 476 auf 446 Milliarden Euro. Gemessen an der Kaufkraft werden also über 60 Milliarden eingespart.

Die Kürzungen zielen auf die Zerstörung aller Rechte und Errungenschaften, die sich die Arbeiterklasse in der Nachkriegszeit erkämpft hat. Die Superreichen und Aktionäre werden dagegen nicht angetastet. Eine höhere Besteuerung ihrer Vermögen und Einkommen, die in den letzten Jahren astronomische Summen erreichten, ist nicht vorgesehen.

Im Zentrum des neuen Budgets steht der Militärhaushalt, der ausdrücklich von allen Einsparungen ausgenommen wird. Er wächst im kommenden Jahr auf 51,8 Milliarden Euro und wird außerdem aus dem „Sondervermögen Bundeswehr“ über 100 Milliarden Euro gespeist, das der Bundestag im letzten Jahr verabschiedet hat.

„Wir werden jährlich zwei Prozent unseres BIP für Verteidigung aufwenden“, versprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor wenigen Tagen, beim Besuch des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg. Bezogen auf das letzte Jahr, als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) rund 3870 Milliarden Euro betrug, wären dies 77,4 Milliarden Euro. Das ist beinahe das Zweieinhalbfache dessen, was der Militärhaushalt vor zehn Jahren umfasste. Und die Forderungen gehen immer weiter. In einem aktuellen Kommentar schreibt Der Spiegel: „80 bis 130 Milliarden Euro jährlich – das ist in etwa der Korridor, in dem sich Deutschlands Wehrausgaben künftig bewegen müssen.“

Nach Auslaufen des „Sondervermögens“ sollen die steigenden Militärausgaben in vollem Umfang aus dem regulären Haushalt bestritten werden, der gleichzeitig weiter gekürzt wird. Finanzminister Lindner will die Neuverschuldung von 45 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 16,6 Milliarden im nächsten Jahr und bis 2027 unter 15 Milliarden senken.

Wie ernst auch der Bundestag die Aufrüstung nimmt, zeigte am selben Mittwoch der Haushaltsausschuss, dem alle Bundestagsparteien, auch die AfD und die Linke, angehören. Der Ausschuss gab grünes Licht für die Anschaffung von 60 Stück des schweren Transporthubschraubers Chinook (7,2 Milliarden Euro) und für drei Flottendienstboote einschließlich Aufklärungstechnik (3,2 Milliarden Euro), die zur Überwachung russischer Marineeinheiten in der Ostsee dienen sollen. Darüber hinaus soll der Rüstungskonzern Rheinmetall mehr als 3000 luftlandefähige Kriegsfahrzeuge liefern. Weiter wurden mehrere Beschaffungsvorhaben auf den Weg gebracht, die unterschiedliche Munitionstypen im großen Stil betreffen. Sie sind sowohl für die Bundeswehr als auch für die ukrainische Armee bestimmt.

Mit Ausnahme des Militärressorts müssen sämtliche Ministerien teilweise herbe Sparmaßnahmen umsetzen. Denn parallel zur Militarisierung will der Finanzminister die „Schuldenbremse“ wieder in Kraft setzen, die in der Corona-Pandemie und zu Beginn des Ukrainekrieges ausgesetzt worden war. Lindner will aber nicht nur das Ziel einer schwarzen Null erreichen, sondern trotz Krieg und Krise auch die Schuldentilgung rasch voranbringen.

Bereits die „Agenda 2010“ der rot-grünen Regierung Schröder-Fischer war mit drastischen Einschnitten bei den Renten, der Gesundheitsversorgung und der öffentlichen Infrastruktur verbunden. Im Zentrum stand damals die Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors, der die Zahl der Armen (auch solcher mit Vollzeitsjobs) in Deutschland auf Rekordhöhe getrieben hat.

Nun sollen die staatlichen Zuschüsse, die die Rente, die Pflege, die Sozialhilfe und die öffentliche Infrastruktur bisher noch halbwegs aufrecht erhalten haben, zurückgefahren werden, so dass die Sozialsysteme in absehbarer Zeit kollabieren.

Auf der Pressekonferenz vom Mittwoch kritisierte Lindner in klassisch neoliberaler Manier, dass die „Erwartungen gegenüber dem Staat“ sich verschoben hätten. „Der Staat kann nicht alles mit Geld lösen,“ sagte er. „Im Zentrum unseres Landes muss eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stehen, in der zunächst der Gedanke der Selbstverantwortung gestärkt werden muss.“ Deshalb habe die Regierung „alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt“.

Die angekündigte Kindergrundsicherung, ein wichtiger Bestandteil des Koalitionsvertrags, wird brutal zusammengestrichen. Sie sollte die krassesten Nachteile armer Kinder bei Bildung, Schule und gesellschaftlicher Teilhabe ausgleichen und sicherstellen, dass sie vernünftig zu essen haben. Sie wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen, denn die Armut steigt ständig. Im reichen Industrieland Deutschland ist aktuell mehr als jedes fünfte Kind armutsgefährdet.

Die Kindergrundsicherung sollte ab 2025 12 Milliarden Euro jährlich umfassen, doch die Finanzpläne der Ampel sehen dafür nur 2 Milliarden vor. Das reiche bei weitem nicht aus, versichert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, Ulrich Schneider. „Auch Herr Lindner kann nicht dauerhaft gegen die Wirklichkeit argumentieren,“ sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Mit 2 Milliarden Euro kann man keine Kindergrundsicherung einrichten, die Kinderarmut wirklich beseitigt.“

Gerade in letzter Zeit hat sich die Armut verschärft. Infolge der Inflation sind die Lebenshaltungskosten explodiert. Dies spüren auch die „Tafeln“, die bedürftige Menschen ehrenamtlich mit Lebensmitteln versorgen. An ihrer Jahreshauptversammlung in Mannheim stellten sie fest, dass sie immer weniger Nahrungsmittelspenden erhalten, die für immer mehr Bedürftige reichen müssen. Der Staat habe „die Verantwortung, das Existenzminimum abzusichern, und nicht die Tafeln,“ betonte die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, Michaela Engelmeier.

Besonders krass wird im Gesundheitshaushalt gespart. Von 64,4 Milliarden Euro 2022 und 24,5 Milliarden im laufenden Jahre sinkt er auf 16,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Er wird damit innerhalb von zwei Jahren auf ein Viertel zusammengestrichen. Das ist ein direktes Ergebnis der „Profite vor Leben“-Politik, die die Corona-Pandemie für beendet erklärt und die Überwachungs-, Vorsorge und Impfprogramme eingestellt hat, obwohl sich die Pandemie weiter global ausbreitet und immer gefährlichere Varianten erzeugt. Für die Hunderttausenden, die an Long Covid, den Spätfolgen der Pandemie, leiden, sind im Haushalt keine Mittel vorgesehen.

Die Kürzungen im Gesundheitsbereich sind eine Ohrfeige für die Pflegekräfte, die in den letzten Monaten wochenlang gestreikt und gekämpft haben, um bessere Verhältnisse in der Krankenpflege und eine Aufwertung ihrer Berufe zu erreichen. Ihnen gibt die Regierung – einschließlich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – deutlich zu verstehen, dass sie ihre Hoffnungen auf bessere Löhne und ein Ende des Pflegenotstands begraben können. Auf dieser Linie liegt auch Lauterbachs „Krankenhausreform“, die im Interesse der großen Klinikkonzerne die massenhafte Schließung von Krankenhäusern vorsieht.

Auch die Pflegeversicherung ist betroffen. Sie wurde vor knapp 30 Jahren eingeführt, um die Sozialämter von der gesellschaftlichen Aufgabe zu entlasten, für pflegebedürftige Senioren zu sorgen. Diese Aufgabe wurde stattdessen der Arbeiterklasse aufgebürdet, die mittels eines Pflichtbeitrags vom Bruttolohn den Großteil der Gelder dafür aufbringt. Ab dem kommenden Jahr wird nun auch noch der bisherige Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro gestrichen. Stattdessen ist der Beitragssatz in die Pflegekasse ab dem 1. Juli erneut angehoben worden. Lag er ursprünglich bei einem halben Prozent, so beträgt er mittlerweile 3,4 bis 4,0 Prozent, je nach der Kinderzahl: Kinderlose zahlen den Höchstbetrag.

Hinzu kommt der viel höhere Beitragssatz für die Krankenversicherung, der im Januar erneut angehoben wurde und weiter steigen wird. Auf diese Weise werden immer mehr wichtige Sozialausgaben gestrichen oder auf die Beschäftigten abgewälzt, die schon einen ständig wachsenden Teil des Steueraufkommens aufbringen.

Im Bundeshaushalt werden außerdem die Gelder für Arbeitssuchende und Langzeitarbeitslose zusammengestrichen. Unter anderem werden rund 10 Milliarden Euro, die bisher aus dem Bundeshaushalt in das Arbeitslosengeld II („Bürgergeld“) flossen, ab dem kommenden Jahr gestrichen. Daneben wird auch der Haushalt des Ministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen um fünf Prozent reduziert, trotz der massiv gestiegenen Preise am Bau, und trotz der katastrophalen Lage auf dem Wohnungsmarkt der Städte. Schon jetzt fehlen bezahlbare Wohnungen zu Hundertausenden.

Der Bildungshaushalt schrumpft im kommenden Jahr um 1,2 auf 20,3 Milliarden Euro. Dazu trägt auch eine Verminderung des Geldes für das Studierenden- und Schüler-Bafög um mehr als 600 Millionen bei, trotz der grassierenden Inflation und der Mietpreisexplosion in den Universitätsstädten. Damit werden natürlich noch deutlich weniger Arbeiterkinder studieren können.

Für die Schuldentilgung wird unter anderem auch eine Rücklage aufgelöst, die die Regierung seit 2015 für die Asylpolitik angelegt hat. Nachdem die EU beschlossen hat, Geflüchtete auf menschenverachtende Weise und unter Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention in Lagern an den Außengrenzen Europas zu kasernieren, geht die Regierung davon aus, dass es kaum mehr welchen gelingen wird, Deutschland zu erreichen.

Auch im Verkehrshaushalt, insbesondere bei den Ausgaben für das Schienennetz und den Güterverkehr der Bahn, sind massive Einschnitte vorgesehen. Die Ampel führt so ihren Anspruch, die stehe für Umweltschutz und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, ad absurdum. Anstatt wie benötigt 45 Milliarden Euro, soll die Bahn weniger als die Hälfte erhalten. So fehlt das Geld für die Sanierung des Schienennetzes in den kommenden Jahren.

Den Beschäftigten der Bahn wird schon seit Ende Februar 2023 ein vernünftiger Tarifvertrag verweigert. Sie sind zum Kampf entschlossen, und bisher ist es nur noch nicht zum Arbeitskampf gekommen, weil die Eisenbahnergewerkschaft EVG dies systematisch verhindert.

Von den Kürzungen betroffen ist auch der Güterverkehr. Der bisher praktizierte Einzelwagenverkehr, bei dem privat beladene Güterwagen einzeln von der Bahn abgeholt, zu Gesamtzügen kombiniert und bewegt werden, soll beendet werden. Die Regierung, Noch-Eigentümerin der Deutschen Bahn, will voraussichtlich neun von zehn Güterverkehrsstellen stilllegen und die Zugbildungsanlagen drastisch reduzieren. Es droht die Zerstörung von 10.000 Stellen im Güterverkehr.

Der Bundeshaushalt 2024 zeigt: Die Regierung verfolgt nicht nur eine Kriegspolitik nach außen, sie hat der Arbeiterklasse auch im Innern den Krieg erklärt. Noch sind nicht alle Details der Pläne bekannt und öffentlich zugänglich, und im Herbst folgen mehrere Lesungen im Bundestag und im Bundesrat. Dabei werden vielleicht Details, nicht aber die Stoßrichtung des Haushalts geändert.

Das Haushaltsprojekt ist Teil einer internationalen Entwicklung. Die imperialistischen Mächte bereiten sich auf einen dritten Weltkrieg vor und verbinden die Aufrüstung mit der Zerstörung aller noch bestehender Sozialleistungen. In den USA bereitet die Biden-Administration einen massiven Angriff auf Sozialversicherung und Gesundheitssystem (Medicare) vor, von denen Millionen US-Bürger abhängig sind. In Frankreich hat der Präsident gegen erbitterten Massenwiderstand und über das Parlament hinweg eine massive Kürzung der Renten durchgesetzt. Die Liste lässt sich beliebig fortschreiben.

Mit dem Bundeshaushalt 2024 werden lang gehegte Pläne umgesetzt. Seit Jahrzehnten werden am oberen Ende der Gesellschaft absurd hohe Vermögen angehäuft und durch eine skrupellose Kriegspolitik verteidigt, während sich am unteren Ende Armut ausbreitet. Verantwortlich dafür sind sowohl die Regierungsparteien SPD, FDP und Grüne, als auch die Oppositionsparteien CDU/CSU, AfD und Linkspartei. Sie alle unterstützen offen oder indirekt die Kriegs- und Kürzungspolitik.

Kanzler Olaf Scholz trägt eine besondere Verantwortung. Schon als Bürgermeister von Hamburg hatte er sich mit seiner Law-and-Order-Politik einen Namen gemacht, als er im Juli 2017 während des G20-Gipfels einen massiven Polizeieinsatz organisierte. Als er danach als Bundesfinanzminister und Vizekanzler ins Kabinett Merkel wechselte, ernannte er einen Spitzenmanager der US-Großbank Goldman Sachs zum Staatssekretär. In einem Interview mit Bild am Sonntag drohte er schon damals: „Die fetten Jahre sind vorbei.“

Gegen die Kürzungspolitik der Regierungen entwickelt sich weltweit Widerstand. Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts, der Post, der Bahn und zahlreicher von Schließung und Entlassungen betroffener Betriebe haben immer wieder ihre Kampfbereitschaft bewiesen. Doch die Gewerkschaften, die mit der Regierung unter einer Decke stecken, sind ihnen stets in den Rücken gefallen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt deshalb für den Aufbau von Aktionskomitees ein, die unabhängig von den Gewerkschaften sind, von den Arbeitern selbst kontrolliert werden und sich betriebs- und grenzüberschreitend vernetzen, um den Widerstand zu organisieren. Die SGP tritt mit Unterstützung ihrer europäischen Schwesterparteien zur Europawahl 2024 an, um eine europäische Bewegung gegen Krieg und zur Verteidigung sozialer und demokratischer Rechte aufzubauen. Der kapitalistischen Barbarei setzt sie die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen.

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